Weekly, KW 46
Guten Abend aus der rethink-Redaktion.
Bei uns geht es heute um illegale Asylabkommen, fragwürdige Unterbringungen von Schweizer Jugendlichen und der Wahl des neuen alten Präsidenten in Spanien.
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Grossbritanniens Asyl-Deal mit Ruanda ist verfassungswidrig.
Menschen, die über den Ärmelkanal illegal nach Grossbritannien eingereist sind, sollten ins ostafrikanische Ruanda abgeschoben werden und dort ihr Asylverfahren durchlaufen. Das war der Plan eines bilateralen Abkommens zwischen Grossbritannien und Ruanda. Das Vereinigte Königreich hatte das Abkommen bereits im April 2022 unterzeichnet. Der Oberste Gerichtshof Grossbritanniens erklärte dieses Abkommen am Mittwoch nun als illegal.
Die Richter entschieden mehrheitlich, dass Ruanda nicht als sicheres Drittland betrachtet werden kann. Grund seien Mängel im Asylverfahren des ostafrikanischen Landes. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass Schutzsuchende von Ruanda aus wieder in ihre Heimatländer abgeschoben würden, obwohl sie einen Asylanspruch hätten.
Hintergrund:
Der britische Premierminister Rishi Sunak erklärte den Stopp des Flüchtlingszustroms als eine seiner Prioritäten. Die Pläne sahen vor, dass irregulär nach Grossbritannien eingereiste Menschen - ungeachtet ihrer Herkunft und ohne Prüfung ihres Asylantrags - festgehalten und so bald wie möglich nach Ruanda abgeschoben werden. Ruanda hingegen würde finanziell entschädigt. Eine Rückkehr ins Königreich war nicht vorgesehen.
Die britische Regierung erklärte, mit dem Plan würden Menschen davon abgehalten, ihr Leben mit einer Überquerung des Ärmelkanals aufs Spiel zu setzen. Zudem würde er dabei helfen, gegen Schleuserbanden vorzugehen. Im vergangenen Jahr kamen rund 45’000 Menschen über die Wasserstrasse nach Grossbritannien. In diesem Jahr sind bisher mehr als 11’000 Menschen auf diesem Weg illegal eingereist.
Bisher ist aber noch kein Flug mit geflüchteten Menschen in die ruandische Hauptstadt Kigali abgehoben. Der erste geplante Abschiebeflug vor einem Jahr wurde im letzten Moment vor dem Abheben durch eine einstweilige Verfügung des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gestoppt. Dieser hatte das Vorhaben der britischen Regierung untersagt, solange die Gerichtsverfahren in Grossbritannien nicht abgeschlossen sind. Vergangenen Dezember hatte der der High Court in London geurteilt, die geplanten Abschiebungen seien rechtsmässig. Menschenrechtsgruppen schalteten daraufhin das Berufungsgericht ein.
Was jetzt passiert:
Der britische Premier Rishi Sunak will die Pläne per “Notfall-Gesetz” doch noch durchsetzen. Damit solle ein erneutes Abblocken vor Gericht in Grossbritannien oder durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verhindert werden, sagte Sunak bei einer Pressekonferenz. Seine Regierung wolle im Frühjahr 2024 die geplanten Flüge zur Abschiebung von Asylsuchenden nach Ruanda durchführen.
Das könnte nach Ansicht von Kommentator:innen darauf hinweisen, dass die konservative Regierung die Europäische Menschenrechtskonvention verlassen will oder Urteile des Gerichts in Strasbourg einfach ignorieren könnte.
Umstrittene KESB-Praxis.
Platzmangel in der Jugendpsychiatrie und in Heimen führt zu einer umstrittenen Praxis: Betreuungs- und therapiebedürftige Jugendliche werden in Gefängnissen eingesperrt. Das zeigen Recherchen von SRF Investigativ. Was als Notlösung gedacht ist, kann jedoch wochenlang andauern.
Hintergrund:
Die Kinder- und Erwachsenenschutzbehörden (KESB) haben bei Jugendlichen mit grossem Betreuungsaufwand Mühe, einen geeigneten Platz für sie zu finden. Besonders Minderjährige, die sich selbst oder andere gefährden, ohne Eltern oder Bezugspersonen leben und in vielen Fällen eine Therapie benötigen, finden selten eine passende Unterbringung. Denn der Platzmangel in Heimen, Institutionen und Psychiatrien ist akut und hat sich seit der Corona-Pandemie noch verschärft. Ausserdem können die Institutionen selbst auswählen, wen sie aufnehmen.
Diese Situation hat dazu geführt, dass die Behörden in mehreren Kantonen Minderjährige in Gefängnissen platzieren, obwohl diese unschuldig sind. Wie die Recherchen zeigen, wiesen in den Jahren 2021 und 2022 die Behörden in sechs Kantonen und dem Fürstentum Liechtenstein Minderjährige der Jugendabteilung des Regionalgefängnisses Thun zu. Das geschah in den zwei Jahren insgesamt 27 mal. Auch in Basel wurden in den letzten zwei Jahren Jugendliche im Gefängnis untergebracht, allerdings deutlich weniger als in Thun. Fünfmal wurden dort laut einer Sprecherin Minderjährige eingesperrt, ohne straffällig geworden zu sein.
Junge Frauen waren deutlich mehr betroffen, weil es für sie noch weniger Plätze in Institutionen und Heimen gibt als für minderjährige Männer. Das Format “SRF Impact” berichtet von einem Fall, bei dem eine 14-Jährige rund 3 Monate in der Jugendabteilung des Regionalgefängnis Thun verbrachte. Das ist doppelt problematisch, weil selbst jugendliche Straftäter erst ab 16 Jahren eingesperrt werden.
Diese sogenannten “Time-outs” sind als kurze Aufenthalte gedacht. Sie sollen den Behörden Luft geben, um eine geeignete Unterbringung zu finden. Die Behörden berufen sich dabei auf den Artikel 307 aus dem Zivilgesetzbuch, der sinngemäss besagt, dass sie zum Schutz des Kindes “die geeigneten Massnahmen” zu treffen haben, falls dessen Wohl gefährdet ist. In gewissen Fällen sei dann das Gefängnis die bestmögliche Lösung. Man wolle so die Betroffenen von der Strasse holen und ihnen ein Dach über dem Kopf gewähren.
Obwohl sich die KESB auf einen Gesetzesartikel berufen, ist die Unterbringung von unschuldigen Jugendlichen im Gefängnis rechtlich umstritten. Martina Caroni, die Präsidentin der Nationalen Kommission zur Verhütung von Folter, kritisiert gegenüber SRF die Praxis. Jugendliche, die nicht mit dem Strafrecht in Kontakt gekommen seien, hätten im Gefängnis nichts zu suchen. Hinter Gittern könnten Jugendliche nicht altersgerecht behandelt werden, hält Caroni fest. “Das widerspricht sicher der Kinderrechtskonvention.”
Den Jugendlichen fehlt es im Gefängnis an passenden Therapiemöglichkeiten und das Vertrauen in Erwachsene. Besonders wenn Betroffene statt ein paar Tagen viel länger als vereinbart bleiben müssten, wirke sich das noch gravierender aus, sagt Katrin Klein, Chefärztin der Kinder- und Jugendforensik der Universitären Psychiatrischen Dienste Bern.
Was jetzt passiert:
Alle Beteiligten sind sich einig, dass der akute Platzmangel in Institutionen und Heimen zu unbefriedigenden Notlösungen zwingt. Doch bis die Politik reagiert, bleibt die Situation angespannt. Zumindest im Kanton Zürich ist eine Verbesserung in Sicht: Der Kantonsrat hat Anfang November einer Initiative zugestimmt, die auf eine verbesserte Versorgung in der Jugendpsychiatrie abzielt.
Spaniens neue Regierung.
Knapp vier Monate nach der Parlamentswahl in Spanien ist der amtierende Ministerpräsident Pedro Sánchez im Amt bestätigt worden. Bei der Wahl gewann die konservative Oppositionspartei PP unter Alberto Feijóo zwar die meisten Sitze im spanischen Parlament, brachte aber keine Parlamentsmehrheit zusammen. Das lag auch an Feijóos Absicht, mit der extrem rechten Partei Vox zu koalieren.
Der Sozialist Sánchez, der bereits seit Mitte 2018 das Land regiert, erreichte am Donnerstag mit 179 zu 171 Stimmen nun genügend Stimmen, um die Regierung stellen zu können.
Entscheidend für seine Wiederwahl war die Unterstützung von zwei katalanischen Parteien, denen er ein Amnestiegesetz für katalanische Unabhängigkeitsbefürworter zugesagt hat. Die Konservativen und Vox werfen Pedro Sánchez wegen dem versprochenen Gesetz Rechtsbruch vor. Die Amnestie soll insbesondere denjenigen Aktivist:innen zugutekommen, die nach der gescheiterten Abspaltung Kataloniens von Spanien im Jahr 2017 von der spanischen Justiz verfolgt wurden. Davon profitieren würde auch der frühere katalanische Regionalpräsident Carlos Puigdemont, der das illegale Referendum über die Unabhängigkeit Kataloniens durchführen liess und seither im Exil lebt.
Gegen diese geplante Amnestie gibt es in Spanien massiven Widerstand. Gestern Samstag waren mehr als Hunderttausend Menschen in der Hauptstadt Madrid auf die Strasse gegangen. Die Organisator:innen der Kundgebung in Madrid sprachen von einer Million Teilnehmenden, die Vertretung der Regierung in der Hauptstadt schätzte die Zahl hingegen auf 170’000. Zweifel an der Rechtmässigkeit einer Amnestie gibt es auch in der EU. Das Europäische Parlament wird kommende Woche die Frage debattieren, ob die Amnestie die Unabhängigkeit der spanischen Justiz gefährde.
Redaktionsschluss: um 21:50
Weekly 46/2023
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