Weekly, KW 04
Guten Abend aus der rethink-Redaktion.
Im letzten Weekly ging es darum, dass immer mehr Menschen einen Bogen um das News-Geschehen machen und weniger Nachrichten konsumieren. Sogenannte News-Avoider (zu deutsch Nachrichtenvermeider:innen) oder News-Deprivierte. Das Thema ist dabei auf ziemlich Resonanz gestossen. Darum geht es heute um Möglichkeiten, was wir persönlich machen können, um die Flut an Nachrichten verträglicher zu gestalten. Spoiler: Wenn Du das liest, scheinst Du schon auf dem richtigen Weg zu sein.
Wie ein gesunder Mittelweg zwischen viel zu häufigem und gar keinem Nachrichtenkonsum aussehen kann, damit hat sich Jannis Behr beschäftigt. Er ist leitender Psychologe an den psychiatrischen Unikliniken in Basel. Behr hat sich zuerst das Motiv näher angeschaut, warum wir überhaupt Nachrichten konsumieren: “Die Menschen möchten informiert sein, im Sinne einer bürgerlichen Verpflichtung”. In einer Demokratie schafften Nachrichten die Grundlage für Abstimmungen, Wahlen und politisches Engagement. “Neugierde ist ein Grundmotiv vom Menschen”, sagt Behr in der SRF-Sendung “Input”.
Der Psychologe zeigt einen konkreten Handlungsplan auf, wie Menschen ihren Zugang zu Nachrichten konstruktiv verändern können.
Wie viel Zeit pro Tag bin ich bereit, mich mit Nachrichten zu konfrontieren.
Etwa 10 Minuten auf dem Arbeitsweg, oder am Abend zwischen Essen und ins Bett gehen?
In welcher Form? Geschrieben, Podcast, zum Sehen. Beachte dabei: Gerade Fernsehsendungen zu negativen Ereignissen haben oft einen stärkeren Einfluss, weil die Nachrichten mit Videos und Bilder verstärkt werden.
Möchte ich ein bestimmtes Thema auswählen und vertieft informiert werden, oder lieber Übersichtssendungen wie die “Tagesschau” (Fernsehen) oder “Echo der Zeit” (Radio), die verschiedene Themen anschneiden?
Mit anderen Menschen gemeinsam Medien konsumieren, sodass die Eindrücke anschliessend gemeinsam besprochen werden können.
Einige Tage Erfahrung sammeln und dann mal wieder einen Tag Pause. Schliesslich eine Bestandsaufnahme: Wie ist das für mich gewesen? Wie möchte ich weitergehen?
Schweiz will Ukraine-Friedensgipfel abhalten.
Im Vorfeld des Weltwirtschaftsforum vor zwei Wochen in Davos besuchte der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski Bundespräsidentin Viola Amherd in Bern. Im gemeinsamen Gespräch ging es dabei auch um einen Friedensgipfel für die Ukraine. Selenski habe gefragt, ob die Schweiz bereit wäre, einen hochrangigen Friedensgipfel zu organisieren. Amherd hat zugesagt: “Die jeweiligen Teams werden diese Arbeiten jetzt an die Hand nehmen. Auf unserer Seite wird das EDA den Lead, die Federführung, für diese Arbeiten übernehmen. Die Schweiz wird sich auch in Zukunft für einen umfassenden, gerechten und dauerhaften Frieden in der Ukraine einsetzen. Die Schweiz freut sich, einen Beitrag dazu zu leisten.”
Seit dem Kriegsbeginn vor fast zwei Jahren, haben bereits vier Konferenzen stattgefunden, die letzte vor zwei Wochen in Davos. 83 Nationen nahmen an diesen Gesprächen mit ihren Sicherheitsberater:innen teil, bei der geplanten Konferenz sollen die Gespräche erstmals auf die politische Ebene der Aussenminister:innen gehievt werden.
Der ukrainische Präsident bedankte sich bei der Schweiz: “Neutral zu sein bedeutet für die Schweiz nicht, die Realität zu ignorieren.” Seit dem ersten Tag des russischen Angriffskrieges helfe die Schweiz, Leben zu retten. Auf die Frage, welche Länder am geplanten Friedensgipfel dabei sein könnten, sagte Selenski, das seien prinzipiell alle Länder, welche die territoriale Integrität der Ukraine anerkennen würden. Er hoffe, dass auch China dabei sein werde.
Diesen Freitag kündigte Österreich an, die Bemühungen der Schweiz zur Abhaltung eines Ukraine-Friedensgipfel zu unterstützen. Dies sicherte der österreichische Bundespräsident Alexander Van der Bellen seiner Schweizer Amtskollegin in einem Telefonat zu.
1.5 Milliarden bis 2028:
An der Pressekonferenz sprach Bundespräsidentin Viola Amherd auch über die Höhe der Gelder, welche eingeplant sind, um die Ukraine zu unterstützen: "Die Schweiz hat für die Unterstützung der Ukraine 1.5 Milliarden Franken eingeplant.” Die Schweiz wolle den Fokus auf den Wiederaufbau der Ukraine legen, sagte Amherd. Zentral sei dabei die Räumung von Minen. Ein Land ohne Minen sei die Voraussetzung dafür, dass die Menschen zurückkehren und wieder Landwirtschaft betrieben werden könne, so die Bundespräsidentin.
Proteste gegen Rechts und Hass in Deutschland.
In deutschen Grossstädten demonstrieren schon die zweite Woche in Folge hunderttausende Menschen gegen die Partei Alternative für Deutschland (AfD), gegen rechte Ideologien und für mehr Demokratie. Die Demonstrationen sind eine Reaktion auf Recherchen von “Correctiv” über ein rechtsextremes Treffen in Potsdam.
Bundeskanzler Olaf Scholz hat die Demonstrationen in ganz Deutschland begrüsst. “Ich bin dankbar, dass Zehntausende in diesen Tagen überall in Deutschland auf die Strasse gehen, schrieb der Regierungschef auf der Plattform X. Das mache Mut und zeige: “Wir Demokratinnen und Demokraten sind viele - viel mehr als diejenigen, die spalten wollen”, fügte er hinzu. Scholz hatte vergangenes Wochenende selbst an einer Kundgebung in Potsdam teilgenommen - in Begleitung von Aussenministerin Annalena Baerbock.
Am Freitag vor einer Woche haben sich etwa in Hamburg Zehntausende Menschen auf dem Jungfernstieg getroffen und gegen Rechtsextremismus und neonazistische Netzwerke demonstriert. Die Kundgebung musste aus Sicherheitsgründen vorzeitig beendet werden. Hintergrund des Abbruchs war, dass der gesamte Innenstadtbereich überfüllt war und Rettungskräfte nicht durchkamen. Laut Polizei kamen 50’000 Teilnehmende zu der Demonstration, sie gibt aber zu, dass aufgrund der Menschenmassen die Menge schlecht geschätzt werden konnte. Die Organisator:innen sprechen sogar von 80’000 Demonstrierenden. Erwartet worden waren rund 10’000.
Eine Demo-Teilnehmerin kritisierte, dass vielen Menschen nicht bewusst sei, was es bedeute, die AfD in Parlamente und Regierungen zu wählen: “Ich meine wir sind auch nicht allem glücklich, aber deswegen kann man in meinen Augen nicht unbedingt rechts wählen. Vielen ist glaube ich nicht bewusst, dass wenn sie auf der rechten Seite stehen, dass sie ihre eigenen Grundrechte abschaffen.” Und eine ältere Dame formulierte es etwas direkter: "Das, was die AfD da macht und die Rechten, ist unter aller Sau und das dürfen wir nicht zulassen.” Und sie sei genug alt um zu wissen, was 1933 schon mal passiert ist.
Hintergrund:
Das Recherchezentrum “Correctiv” veröffentlichte Anfang Januar einen Bericht über ein bis dahin nicht bekanntes Treffen von Rechtsradikalen vergangenen November. In einem Hotel bei Potsdam trafen sich einflussreiche AfD-Politiker - darunter der persönliche Referent Alice Weidels - mit Neonazis und potenziellen Geldgebern. Sie entwarfen eine Strategie für die Vertreibung von Millionen Menschen mit internationaler Biographie aus Deutschland - egal ob diese einen deutschen Pass besitzen. Der frühere Kopf der rechtsextremen Identitären Bewegung in Österreich, Martin Sellner, hatte in Potsdam nach eigenen Angaben über “Remigration” gesprochen. Wenn Rechtsextremisten den Begriff verwenden, meinen sie in der Regel, dass eine grosse Zahl von Menschen ausländischer Herkunft das Land verlassen soll - auch unter Zwang.
Was jetzt passiert:
Die öffentliche Empörung über das “Geheimtreffen” ist gross. Dabei ist vom Bekanntgewordenen wenig wirklich neu. Dass selbst Leute aus der AfD-Parteispitze gesichert rechtsextrem sind, sagt der deutsche Verfassungsschutz schon lange. Genau so ist bekannt, dass AfD-Bundestagsabgeordnete auch Rechtsextreme in ihren Büros angestellt haben. Den Aufbau sogenannter “Remigrationsprogramme” wiederum, unerwünschte Menschen auszuschaffen also, verlangt die AfD ganz offiziell in ihrem Wahlprogramm für die Europawahlen in diesem Jahr.
Nun wird vermehrt über ein Parteiverbot diskutiert. Das ist in Deutschland dank dem Grundgesetz eine Möglichkeit, wenn eine Partei sich beispielsweise in “aktiv-kämpferischer Weise” für die Abschaffung der Demokratie einsetzt. Die Partei müsse planen, die demokratische Grundordnung zu beseitigen, also aktiv gegen den Staat vorgehen, schreibt das Bundesinnenministerium. Ein weiter entscheidender Punkt: Es müssen konkrete Anhaltspunkte vorliegen, die es möglich erscheinen lassen, dass das Handeln der Partei erfolgreich sein kann. Das heisst, eine Partei kann nur verboten werden, wenn sie auch eine gewisse Chance hat, ihre verfassungsfeindlichen Ziele durchzusetzen.
Den Antrag auf ein Parteiverbot können nur der Bundestag, der Bundesrat oder die Bundesregierung stellen. Über ein Parteiverbot entscheidet dann das Bundesverfassungsgericht. Das hat es bisher in den 1950er Jahren bei zwei Parteien getan.
Über ein AfD-Verbot ist schon öfter diskutiert worden - beispielsweise 2022, als über Verbindungen zwischen Reichsbürgern und der AfD berichtet wurde. Durch die Correctiv-Berichterstattung sei es nun leichter geworden, die Partei zu verbieten, findet etwa der Publizist und Jurist Heribert Prantl - denn “die fatalen Pläne der Partei” seien noch deutlicher geworden.
Politisch gibt es allerdings auch Widerstand gegen ein Verbotsverfahren. Gegner:innen verweisen auf mögliche negative Folgen und Reaktionen in der Bevölkerung. Ein Verbotsverfahren - so die Befürchtung - würde dazu führen, dass sich erhebliche Teile der Bevölkerung weiter von der Demokratie entfremden. Letztendlich könnte das Verbot der AfD sogar weitere Sympathien einbringen, vermutet Carsten Schneider, Ostbeauftragter der Bundesregierung: “Wenn wir eine Partei verbieten, die uns nicht passt, die in Umfragen aber stabil vorne liegt, dann führt das zu einer noch grösseren Solidarisierung mit ihr”, sagte er der Süddeutschen Zeitung”. “Die Kollateralschäden wären sehr hoch.”
Ebenfalls ein Risiko eines Parteiverbots-Verfahren: Entscheidet sich das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gegen ein Verbot, hat die AfD praktisch die Bestätigung des höchsten Gerichts in Deutschland, dass sie verfassungskonform ist und ihr die anderen politischen Akteure schaden wollen. Und das wird die Partei wahlkampftechnisch auszuschlachten wissen.
Erste Entscheidung zu Israel am höchsten UNO-Gericht.
Der Internationale Gerichtshof (IGH) in Den Haag ordnete am Freitag zwar kein Ende des israelischen Militäreinsatzes im Gazastreifen an, aber mehr Hilfe für die Menschen vor Ort.
Darüber, ob das Vorgehen im Gazastreifen den Tatbestand eines Genozids erfüllt, urteilte das Gericht noch nicht - eine Entscheidung in der Sache dürfte Jahre in Anspruch nehmen. Südafrika hatte vor dem Gericht in Den Haag gegen Israel wegen eines möglichen Völkermordes geklagt.
In einem ersten Schritt hat das Richtergremium über Sofortmassnahmen entschieden:
Das höchste Gericht der Vereinten Nationen fordert Israel in seiner Entscheidung auf, Tod und Zerstörung einzudämmen. Entgegen dem Wunsch Südafrikas fordert der IGH keinen Waffenstillstand oder gar Ende des Krieges.
“Gaza sei zu einem Ort des Todes und der Verzweiflung geworden”. Gerichtspräsidentin Joan Donoghue zitierte bei der Verkündung des Gerichtsentscheides am Freitag aus etlichen Zeugenaussagen aus dem Gazastreifen: “Von diesem Krieg sind mehr als zwei Millionen Menschen betroffen. Die gesamte Bevölkerung von Gaza. Viele werden lebenslange Narben davon tragen - körperliche und psychische.” Damit verweist sie auf die Hungersnot, Ausbreitung von Krankheiten und die ständige Bombardierung, die eine ganze Generation von Kindern töte, verstümmle und zu Waisen mache.
Gleichzeitig ging Donoghue auch auf die Brutalität der Hamas-Massaker ein und das Leiden der israelischen Geiseln. Der Internationale Gerichtshof vermied es, Israel für seine militärische Reaktion auf den Hamasangriff zu kritisieren. Er hob jedoch die menschenverachtenden Aussagen einiger israelischer Politiker hervor und zitierte unter anderem Verteidigungsminister Yoav Galant.
Israel müsse zudem verhindern, dass seine Armee im Gazastreifen einen Völkermord begehe und Israel müsse sofort mehr humanitäre Hife in den Gazastreifen lassen. Diese Massnahmen beschloss das Gericht fast einhellig mit jeweils nur einer oder zwei Gegenstimmen. Das Gericht forderte ebenfalls die sofortige und bedingungslose Freilassung aller Geiseln. In einem Monat soll Israel dem Gerichtshof einen Bericht abliefern, wie es diese Massnahmen umsetzt.
Redaktionsschluss: 17:00
Weekly 04/2024
Headerbild von Milad Fakurian auf Unsplash
© rethink-blog 2024