Weekly, KW 09
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Guten Abend aus der rethink-Redaktion.
Bei uns geht es um die Abstimmungen in der Schweiz und den Tod des Kremlkritikers Alexej Nawalny.
Trauer um Alexej Nawalny.
Am Freitag wurde Alexej Nawalny in Moskau beigesetzt. Der russische Machtapparat war darum bemüht, die Trauerfeier für den wichtigsten russischen Oppositionspolitiker zu stören: Dutzende Einsatzfahrzeuge der Polizei, Personenkontrollen, die durchgeführt wurden und ein gedrosseltes Mobilnetz. Nawalnys Team zeigte in einem Live-Stream im Internet die Beerdigung. Hunderttausende verfolgten die Übertragung, vor der Kirche warteten Tausende Menschen teils mit Blumen in der Hand.
Sein Team wie auch Frau und Sohn nahmen nicht an der Trauerfeier teil, weil sie zu ihrer eigenen Sicherheit im Ausland sind.
Hintergrund:
Nawalny starb nach Behördenangaben am 16. Februar in einem Straflager in der sibirischen Arktisregion Jamal. Die Umstände seines Todes sind nicht geklärt. Der durch seine Haftbedingungen geschwächte Politiker soll bei einem Rundgang auf dem eisigen Gefängnishof zusammengebrochen und trotz Wiederbelebungsversuchen gestorben sein. Nach Angaben von Nawalnys Team ist im Totenschein von “natürlichen” Ursachen die Rede.
Nawalny gründete 2011 eine Nichtregierungsorganisation, die staatliche Korruption in Russland publik machte. Er wurde mehrere Male von der russischen Justiz angeklagt, wobei der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte mehrmals zum Schluss kam, dass die Verurteilungen rechtswidrig seien. Bei der Präsidentschaftswahl im März 2018 trat er als Kandidat an, seine Kandidatur wurde aber von der Wahlkommission als nicht zulässig erklärt.
Am 20. August 2020 wurde Alexej Nawalny Opfer eines Giftanschlages mit einem Nowitschok-Nervengift. Dieser Kampfstoff wurde in sowjetischen Labors entwickelt und kann nicht im Heimlabor zusammengemischt oder auf dem Schwarzmarkt gekauft werden.
Nawalny wurde nach zwei Tagen Behandlung in einem russischen Spital auf Wunsch seiner Familie und auf Einladung der deutschen Bundesregierung in die Charité nach Berlin verlegt, wo er im September 2020 aus dem künstlichen Koma geholt wurde und im gleichen Monat das Krankenhaus verlassen konnte. Nach seiner Erholung flog Alexej Nawalny im Januar 2021 zurück nach Moskau, wo er noch am Flughafen verhaftet und anschliessend zu dreieinhalb Jahren Straflager verurteilt wurde. Er habe gegen Bewährungsauflagen von vorgängigen Urteilen verstossen.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) forderte im Februar 2021 seine unverzügliche Freilassung. Russland teilte mit, dass im Sommer 2020 die Verfassung geändert wurde, und russisches Recht über internationalem Recht stehe und die Regierung gar nicht daran denke, der Forderung des Gerichtshofes nachzukommen.
Was jetzt passiert:
Die Reaktionen auf den Tod von Alexej Nawalny liessen nicht lange auf sich warten. Und der Tenor war eindeutig: Niemand nimmt die Unschuldsbekundungen Moskaus ernst. US-Präsident Joe Biden hat Wladimir Putin direkt für den Tod von Nawalny verantwortlich gemacht.
Julia Nawalnaja, die Frau von Alexej Nawalny, kündigte wenige Tage nach dem Tod ihres Mannes an, dessen Kampf fortzusetzen. Sie warf Wladimir Putin nicht nur vor, ihren Mann getötet zu haben, Putin habe so auch versucht, Russland die Hoffnung auf Freiheit und Gerechtigkeit zu nehmen. Deshalb wolle sie den Kampf ihres Mannes weiterführen.
Abstimmungen in der Schweiz.
Heute war das Schweizer Stimmvolk eingeladen, an der Urne über zwei Initiativen über die Altersvorsorge zu entscheiden.
Die Initiative für eine 13. AHV-Rente will die Renten um eine Monatsrente erhöhen. Die Initiative bestimmt auch, dass die Ergänzungsleistungen wegen der 13. AHV-Rente nicht gekürzt werden dürfen. Durch die Erhöhung würden die Kosten für die 13. AHV-Rente bei der Einführung etwa 4.1 Milliarden Franken betragen, wovon der Bund rund 800 Millionen bezahlen müsste. Die Initiative lässt die Frage der Finanzierung offen.
Die Initiative wurde mit 58 Prozent Ja-Stimmen angenommen.
Im Gegensatz dazu will die Renteninitiative die Finanzierung der AHV mit der Erhöhung des Rentenalters nachhaltig sichern. Sie fordert, zuerst das Rentenalter für Frauen und Männer schrittweise auf 66 Jahre zu erhöhen. Danach soll das Rentenalter an die durchschnittliche Lebenserwartung gekoppelt werden. Wird die Initiative angenommen, würde die AHV entlastet: Die Erhöhung des Rentenalters auf 66 Jahre würde die Ausgaben der AHV voraussichtlich um rund 2 Milliarden Franken reduzieren.
Wie bereits die Abstimmungsprognosen zeigten, wurde die Renteninitiative mit deutlichen 74% Nein-Anteil abgelehnt.
Die beiden nationalen Volksinitiativen zur Altersvorsorge haben die Stimmbevölkerung überdurchschnittlich mobilisiert: Die Stimmbeteiligung von 58.3 Prozent bei der 13. AHV-Rente war die neunthöchste bei einer Abstimmung seit der Einführung des Frauenstimmrechts 1971.
Und ein Blick in die Kantone:
Im Kanton Zürich forderte eine Initiative: Seeufer für alle! Das Stimmvolk im Kanton stimmte darüber ab, ob es rund um den Zürichsee einen durchgängigen Uferweg geben soll. Über weite Strecken ist ein solcher Weg bereits gebaut. Bei rund einem Viertel des Ufers fehlt der Weg, meist wegen Privatgrundstücken. Der durchgängige Weg soll gemäss Initiativtext bis 2050 fertiggestellt sein. Grossen Widerstand leisteten Anwohner:innen mit direktem Grundstück am See. Sie wären betroffen vom Bau eines Uferweges.
Deutlich Nein (64%), sagte die Zürcher Stimmbevölkerung heute zu diesem Vorhaben. Damit fällt der Wunsch eines für alle zugänglichen Seeufers ins Wasser.
Aus dem Jahr 1907 stammt die aktuelle Kantonsverfassung im Wallis. 2018 entschied die Stimmbevölkerung, es sei Zeit für eine Generalüberholung, mehrere Monate später wählte sie einen von der kantonalen Politik unabhängigen Verfassungsrat. Das 130-köpfige Gremium erarbeitete während fünf Jahren den neuen Verfassungstext.
Er gilt unter Verfassungsrechtler:innen als einen der innovativsten und modernsten Text für eine Kantonsverfassung in der Schweiz. Die neue Verfassung sieht etwa Rechte vor auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit, auf kantonale Elternzeit (solange keine solche auf nationaler Ebene besteht) oder auf eine Kinderbetreuung, die “für alle bezahlbar” ist.
Die Verfassung schreibt auch die neuen direktdemokratischen Instrumente der Gesetzesinitiative und der Volksmotion fest. Ein Stimmrecht für Ausländer:innen wird optional vorgeschlagen, darüber stimmte die Walliser Stimmbevölkerung gesondert ab.
Der Verfassungsentwurf wurde an der Urne aber klar und deutlich abgelehnt (68% Nein / 57% Nein für die Variante ohne Ausländerstimmrecht).
Ein Grund dafür mag die fehlende Relevanz für das persönliche Wohlergehen der Stimmbevölkerung sein. Es lebt sich gut im Wallis, auch mit der aktuellen Verfassung aus dem Jahr 1907. Zwar erklärten die Befürwortenden immer wieder, dass die moderne Verfassung die Grundrechte von Frauen, Kindern, Senioren und Menschen mit Behinderungen stärke und dass sie die demokratischen Rechte der Bürgerinnen und Bürger ausbaue.
Doch genau dieser Ausbau lenkte letztlich das Wasser auf die Mühlen der Verfassungsgegner. Sie warnten vor dem finanzpolitischen Rattenschwanz, den die neue Verfassung nach sich ziehen werde.
Redaktionsschluss: 21:40
Weekly 09/2024
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