Volksinitiative “Für eine engagierte Schweiz (Service-citoyen-Initiative)”

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Ein überparteiliches Komitee fordert mit der Initiative einen Bürgerdienst für alle. Dieser solle der Allgemeinheit und der Umwelt zugutekommen.

Heute sind Männer mit Schweizer Staatsangehörigkeit verpflichtet, einen Dienst in der Armee oder im Zivilschutz zu leisten. Als Alternative kann ein Zivildienst geleistet werden, der allerdings 1,5-mal so lange dauert wie der Militärdienst. Männer, die keinen Dienst leisten, müssen eine Ersatzabgabe bezahlen. Laut dem Bundesrat hat eine grosse Mehrheit der heute geleisteten Diensttage einen direkten Bezug zur Sicherheit der Schweiz. Frauen können heute den Dienst in der Armee oder Zivilschutz freiwillig leisten. Die Volksinitiative “Für eine engagierte Schweiz (Service-citoyen-Initiative) sieht eine tiefgreifende Reform des Militärdienstes vor.

Die Initiative wurde von der im Jahr 2013 gegründeten Genfer Vereinigung servicecitoyen.ch ins Leben gerufen. Sie wurde am 26. Oktober 2023 mit 107’613 gültigen Unterschriften eingereicht. Unterstützt wird der Text von der Grünliberalen Partei, der Evangelischen Volkspartei, der Piratenpartei, den Jungen der Mitte sowie verschiedenen Vereinigungen.

  • Sowohl der Bundesrat wie auch rechte Parlamentarier:innen warnen regelmässig davor, dass der Schweizer Armee bald die Soldat:innen ausgehen. Von Links kommt jedoch, dass die Armeebestände zu hoch sind. Was gilt jetzt?

    Die aktuelle Gesetzgebung kennt zwei Zielgrössen: 

    • Sollbestand umfasst alle militärische Funktionen, die es in der Armee für einen Einsatz braucht und die bei einer Gesamtmobilisierung besetzt werden müssen.

    • Effektivbestand umfasst alle Angehörigen der Armee, die in Formationen eingeteilt sind, Wiederholungskurse (WKs) absolvieren müssen oder nach Abschluss aller WKs noch einige Jahre dienstpflichtig sind. 

    Die Armee hat einen Sollbestand von 100’000 und einen Effektivbestand von maximal 140’000 Dienstpflichtigen. Beides wird aktuell knapp erfüllt oder gar überschritten. Gemäss der letzten Armeeauszählung 2024 liegt der Sollbestand bei 99’107 und der Effektivbestand bei 146’974 – also über dem Grenzwert und damit ein unrechtmässiger Zustand. Der Bundesrat möchte die Zielgrösse Effektivbestand für eine gewisse Zeit überschreiten dürfen, die bürgerliche Mehrheit im Nationalrat will den Effektivbestand als Vorgabe ganz abschaffen.

    Warum aber warnt die Armee vor Lücken in den Beständen ab 2028?

    Der Grund dafür liegt bei einer kürzeren Dienstdauer: Der Bundesrat hat die Dienstdauer im Jahr 2018 von 12 auf 10 Jahre reduziert. Deswegen entlässt die Armee in den Jahren 2028 und 2029 zwei zusätzliche Jahrgänge. Das lässt den Effektivbestand auf 124’300 sinken. Der Effektivbestand steigt aber wieder an: Ab 2030 steigt der Wert gemäss der Armeeprognose. Eine Projektion über 2035 will die Armee aber nicht erstellen, weil sich die Militärpflicht oder die Struktur der Armee bald ändern könnte.
    Alles in allem scheint die Lage also doch nicht so prekär zu sein. Trotzdem wird aktuell im Parlament der Zivildienst torpediert, da er dem Militär die wichtigen Männer wegnehme. Wer sich genauer damit befassen will: Die Artikel im Online-Magazin Republik “Mit dem Kopf durch die Bunkerwand” und die Rechentricks des VBS in “Wie der Bund die Armee kleinrechnet” sind beide sehr lesenswert.

Was sich ändert:

Jede Person mit Schweizer Staatsangehörigkeit soll einen Dienst zum Wohl der Gemeinschaft und der Umwelt leisten. Im Gegensatz zum heutigen System würde diese Verpflichtung auch für Frauen gelten. Zudem kann der Gesetzgeber die Verpflichtung auf Nicht-Schweizer:innen ausweiten. 

Heute beschränkt sich die Dienstpflicht auf die Armee, den Zivilschutz und den Zivildienst. 

Die Initiative verlangt, dass die Bestände von Armee und Zivilschutz gesichert sein müssen. Wie dies sichergestellt werden soll, lässt der Initiativtext offen.
Diejenigen Personen, die nicht für die Armee und den Zivilschutz benötigt würden, müssten einen gleichwertigen Milizdienst leisten. Die Initiant:innen nennen als Beispiele Bereiche wie Umweltschutz, Hilfe für schutzbedürftige Personen, Ernährungssicherheit oder Katastrophenvorsorge. Die konkreten Aufgaben würden entsprechend den Bedürfnissen des Landes von den Behörden festgelegt werden. 

Der Bundesrat hat die Einführung eines Bürgerdienstes bereits geprüft, hat aber darauf verzichtet, da ein solcher Dienst die Wirtschaft belasten und für den Bund und die Kantone hohe Kosten verursachen würde. Ausserdem müssten mit der Ausweitung der Dienstpflicht auf Frauen deutlich mehr Personen Dienst leisten. Der Bundesrat rechnet vor, dass mit dieser Ausweitung des Dienstpflichtsystems die Kosten etwa verdoppelt würden. Die Kosten für den Erwerbsersatz würden auf rund 1,6 Milliarden Franken pro Jahr steigen, jene der Militärversicherung auf rund 320 Millionen Franken. Ausserdem würden die Kosten für die Unternehmen steigen, weil mit dem Bürgerdienst rund doppelt so viele Arbeitnehmende am Arbeitsplatz fehlen würden.

Wer dagegen ist:

Bundesrat und Parlament sprechen sich beide gegen die Initiative aus. Auch die Parteien SVP, FDP, Mitte, SP und Grüne haben ihren Mitglieder:innen ein Nein an der Urne empfohlen. Auch aus der Wirtschaft und Armeeverbänden regt sich Widerstand. Ebenfalls dagegen ist die Gruppe für eine Schweiz ohne Armee GSoA.

Argumente der Gegnerinnen:

Die Gegnerschaft der Initiative weist auf Lücken bei der Umsetzung des Textes hin. Im Speziellen fragen sie sich, wie die Personalstärke der Armee und des Zivilschutzes gewährleistet werden kann, wenn die Dienstpflichtigen ihren Einsatzbereich selbst wählen können. Das bürgerliche Lager befürchtet negative Auswirkungen auf die Wirtschaft, während die Linke behauptet, der Milizdienst könne mit Zwangsarbeit gleichgesetzt werden und verstosse gegen das Völkerrecht. 

Zudem sind die Gegner:innen der Initiative der Ansicht, dass die Dienstpflicht für Frauen keinen wirklichen Fortschritt in Sachen der Gleichstellung darstellen würde, da die Gleichstellung in der Arbeitswelt und Gesellschaft noch immer nicht Realität ist. Dies würde die Belastung vieler Frauen erhöhen, die bereits einen Grossteil der unbezahlten Arbeit leisten würden.

Der Arbeitsmarkt leidet bereits unter akutem Fachkräftemangel. Mit der Initiative würden jedes Jahr rund doppelt so viele junge Arbeitskräfte wie heute vom Arbeitsmarkt abgezogen. Unternehmen verlieren dringend benötigtes Personal, Lehrverhältnisse und Berufseinstiege werden unterbrochen. Die Folge: Produktivitätsverluste, höhere Kosten und mehr Bürokratie.
— Argumentarium Komitee buergerdienst-nein.ch
Die Initiative könnte im Sozial- und Gesundheitswesen Lohndumping fördern, weil günstige Pflichtkräfte reguläres Fachpersonal ersetzen würden. Das senkt den Anreiz, in faire Löhne und gute Arbeitsbedingungen zu investieren. Statt dringend benötigter, gut ausgebildeter Fachkräfte gäbe es mehr nicht ausgebildete Billigarbeitskräfte. Das würde den bestehenden Personalmangel und Lohndruck weiter verschärfen und auch die Qualität der geleisteten Arbeit verschlechtern.
— Argumentarium SP Schweiz - sp-ps.ch/nein-zur-service-citoyen-initiative

Wer dafür ist:

Aus dem Bundeshaus sprechen sich nur GLP und EVP für ein Ja an der Urne aus. Ausserdem unterstützen Verbände wie “männer.ch” und “Frauen im TAZ” die Initiative.

Argumente der Befürworter:innen:

Die Befürwortenden sind der Meinung, das derzeitige System sei veraltet und unfair. Sie kritisieren, dass nur Schweizer Männer wehrpflichtig sind, während Frauen sowie Ausländerinnen und Ausländer davon befreit sind. Nach Ansicht der Befürwortenden könnte die Reform den Personalbedarf der Armee und des Zivilschutzes decken, indem sie den Pool der mobilisierbaren Personen erweitert. Das Initiativkomitee betont ausserdem, dass sein Text zivile Formen des Engagements als gleichwertig mit dem Militärdienst anerkennen würde und so den wachsenden Bedürfnissen in  Bereichen wie Umwelt, Gesundheit oder Soziales gerecht werden könnte.

Die Initiative öffnet den Dienst für alle: Frauen und Männer, militärisch oder zivil. Jede und jeder leistet einen Beitrag dort, wo das Land ihn am meisten braucht. Damit wird das volle Potenzial mobilisiert, die Verantwortung fair verteilt, Lücken geschlossen und unser gesellschaftlicher Zusammenhalt gestärkt.
Die Initiative stärkt, was die Schweiz seit jeher ausmacht: Sicherheit durch Engagement. Sie garantiert den Bestand von Armee und Zivilschutz und erweitert sie um dringend benötigte Kräfte, auch in neuen Bereichen. So wird die Schweiz krisenfester und bleibt auch in Zukunft in der Lage, sich besser vor kollektiven Bedrohungen zu schützen.
— Argumentarium Initiativkomitee - servicecitoyen.ch

Das Budget:

  • Die seit 2024 geltenden Transparenz-Regeln verpflichten die politischen Verbände und Parteien, ihre Budgets für Abstimmungen offenzulegen. Die neuen Transparenzvorschriften schreiben vor, dass Kampagnen über 50'000 Franken bei eidgenössischen Wahlen und Abstimmungen offengelegt werden müssen. Bei Spenden über 15'000 Franken wird der Spender oder die Spenderin namentlich erwähnt.

Für ein Nein an der Urne budgetiert die Allianz Sicherheit Schweiz aktuell als einzige Organisation 275’000 Franken für die Gegenkampagne. Sie erhielt dabei Zuwendungen aus der Wirtschaft, namentlich 125’000 Franken von economiesuisse und je 25’000 Franken vom Verband Militärischer Gesellschaften VMG und Swissmem. 

Das Initiativkomitee konnte zusammen mit der Piratenpartei knapp 335’000 Franken für die Ja-Kampagne mobilisieren. Die grössten Geldgeber sind dabei Privatpersonen. 

Das Budget kann während der Kampagne noch angepasst werden. Es kann auch sein, dass nicht das gesamte Budget genutzt wird.

Stand: 26.10.2025


Abstimmungsfrage:

Das steht auf dem Abstimmungszettel: Wollen Sie die Volksinitiative “Für eine engagierte Schweiz (Service-citoyen-Initiative)” annehmen?

Das bedeutet es:  Willst Du, dass statt Wehrpflicht für Männer neu für alle Schweizer Bürger:innen ein Bürgerdienst Pflicht werden soll, der in der Armee, Zivilschutz oder anderen zivilen Bereichen geleistet werden kann?


PS: Egal welcher Meinung du bist, nutze dein Stimmrecht und gehe an die Urne.

PPS: Auch wenn man einen Brief öffnen und wieder abschicken muss, oder am Sonntag ins Abstimmungslokal gehen muss, nicht alle auf dieser Welt können so viel mitbestimmen wie wir. Also sollten wir uns auch einen Tritt in den Arsch geben und es ernst nehmen.


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Oli Wingeier

Oli, findet alles Neue spannend und erstmal gut, ausser die neuen Rechten. Duscht jeden Morgen zu lange, besitzt mehr als tausend Notizbücher und zu viele Gedanken (oder umgekehrt).
Für rethink wühlt er sich jede Woche durch etliche Nachrichten und kreiert dann daraus eine Zusammenfassung der wichtigsten News. Zu lesen und hören als “Weekly”

https://instagram.com/oli.wingeier
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