Weekly, KW 43
🕐: ca. 12 Min.
Ein herzliches Halli Hallo aus der rethink-Redaktion.
Bist Du auch so überrascht wie ich? Bevor wir mit dem Weekly starten, kommt zuerst noch eine Geschichte aus dem Nähkästchen:
Bevor ein neues Weekly entsteht, klicke ich einmal auf den Kopieren-Button. So muss ich nur den Inhalt und nicht das ganze Layout anpassen. Und was ich soeben abändern musste, liess mich kurz stocken. 3. März 2024. An diesem Tag verfasste ich das letzte reguläre Weekly. Seither ist nicht nur bei mir im Leben viel geschehen, sondern besonders viel in der Welt. Grund genug, wieder die Nachrichten vertiefter zu betrachten. Im Moment noch in schriftlicher Form, hoffentlich aber schon bald auch wieder als Podcast ;)
Nun zu dem, was diese Woche wichtig war und noch werden könnte:
Der Hoffnungsträger der US-Demokrat:innen.
Am Dienstag hatte der Demokrat Zohran Mamdani wenig überraschend die Bürgermeisterwahl in New York gewonnen. Er wird damit der erste muslimische Bürgermeister der Stadt und ist mit 34 Jahren auch der jüngste. Mamdani besiegte den früheren Gouverneur Andrew Cuomo und den Republikaner Curtis Sliwa. Mehr als zwei Millionen Menschen gaben ihre Stimme ab - nach Angaben der New Yorker Wahlleitung so viele wie seit 1969 nicht mehr.
Doch wer ist Zohran Mamdani, der hüben wie drüben als grosse Hoffnung für eine neue linke Politik gesehen wird?
Mamdani wurde 1991 als Sohn indischstämmiger Eltern in Uganda geboren. Seine Mutter ist Filmemacherin, sein Vater ist Professor für Politik. Als er sieben Jahre alt war, zog die Familie nach New York. 2018 erlangte Mamdani die US-Staatsbürgerschaft. Während des Studiums engagierte er sich politisch und arbeitete danach mit Menschen in prekären Wohnverhältnissen.
„Zohran Mamdani ist in den USA, neben den täglichen, zermürbenden Meldungen von Trumps Ungeheuerlichkeiten, zweifellos die Politstory des Jahres. Der 34 Jahre alte Muslim, der sich als «demokratischen Sozialisten» bezeichnet und den vor einem Jahr ausserhalb der engsten New Yorker Szene noch niemand kannte, ist zu einem politischen Popstar avanciert. Der sprachgewandte und hochintelligente Afroasiate ist im Amerika Donald Trumps zum Hoffnungsträger für die Demokratie geworden.“
Den Wahlkampf ums Amt des Bürgermeisters eröffnete Mamdani bereits unkonventionell: Statt eines pompösen Auftritts, bei dem er verkündete, was er alles tun wolle, drehte Mamdani eine Serie von Instagram-Videos in jenen New Yorker Wahlbezirken, in den Donald Trump bei der letzten Präsidentschaftswahl grossen Zuwachs erfuhr. Und statt den Menschen dort sein Programm zu erklären, stellte er ihnen Fragen. In den folgenden Wochen und Monate bewies Mamdani – und sein Social Media-Team – dass er das Vokabular der sozialen Netzwerke besser versteht als wohl jede:r andere Politiker:in der USA. Er demonstrierte überzeugend, dass er sich für die Menschen in New York und besonders für ihre Probleme interessierte.
Bei der Vorwahl der Demokratischen Partei im Sommer gewann Zohran Mamdani mit einem überragenden Vorsprung von 7 Prozentpunkten vor dem wohlfinanzierten ehemaligen Gouverneur Andrew Cuomo. Es war eine klare Entscheidung der demokratischen Basis für das Neue gegenüber dem Alten. Mamdani tat mit seiner Politik genau das, was die Partei schon lange gebraucht hätte: Er hielt sich nicht an die Regeln.
Statt Politikinitiativen zu erklären und sich in trockener Sachfragen zu verlieren, hiess seine Botschaft simpel: New York muss bezahlbar werden. Punkt. Besonders im demokratischen Parteiestablishment war das vielen unappetitlich. Es hatte den Geruch von Linkspopulismus.
Mamdani ist derzeit noch Abgeordneter im Parlament des Bundesstaates New York. Im Wahlkampf versprach er eine Politik, die sich vor allem an den Bedürfnissen von Gering- und Durchschnittsverdienern orientiert und die horrenden Lebenshaltungskosten in der Metropole senken soll: Er plant einen Mietendeckel, kostenlose Busse und Gratis-Kinderbetreuung. Finanziert werden soll das durch höhere Steuern für Wohlhabende und Unternehmen.
Zwar mag der Sieg von Zohran Mamdani in New York für die US-Demokrat:innen eine Art politischer Adrenalinstoss sein. Er zeigt der Partei grundsätzlich, dass ein Kandidat, der spiegelbildlich zu Trump die Klaviatur der Sozialen Medien beherrscht, der eigene Themen setzt, die das Bauchgefühl der Wählerschaft treffen, vor allem junge Wählerinnen und Wähler begeistern und für die höchste Wahlbeteiligung seit Jahrzehnten sorgen kann. Doch in vielerlei Hinsicht bleibt New York und damit der Wahlsieger Mamdani ein Sonderfall: New York war stets eine Hochburg der Demokraten, die multikulturell geprägte Metropole steht in vielerlei Hinsicht eben nicht für das ganze Land.
Mamdanis Sieg wird in erster Linie für eine Grundsatzdiskussion innerhalb der demokratischen Partei sorgen. Der linke, progressive Flügel fühlt sich deutlich gestärkt. Doch ob ein Linksruck à la Mamdani das demokratische Rezept für die Kongress-Zwischenwahlen in einem Jahr und für die nächste Präsidentschaftswahl in drei Jahren sein kann, bleibt in der Partei umstritten.
Die grösste humanitäre Krise der Welt.
Im Sudan herrscht seit April 2023 Krieg. Damals eskalierte ein blutiger Machtkampf zwischen Machthaber Abdel Fattah Abdelrahman Burhan und seinem ehemaligen Vize Mohammed Hamdan Daglo: Die sudanesische Armee kämpft gegen die von Daglo angeführte paramilitärische Miliz Rapis Support Forces (RSF). 2023 konnten sich die beiden führenden Kommandanten nicht auf eine Integration der RSF in die reguläre Armee einigen.
Nach Angaben der Vereinten Nationen hat der Konflikt Zehntausende Tote und Verletzte gefordert, die Menschen hungern. Mehr als 12 Millionen Menschen sind auf der Flucht. Die Vereinten Nationen sprechen von der größten humanitären Krise der Welt. Angesichts der anhaltenden Kämpfe lässt sich die Zahl der Todesopfer nur schätzen. Hilfsorganisationen und die Vereinten Nationen gehen von mehr als 140’000 im Kriegsverlauf getöteter Menschen aus. Etwa die Hälfte der 51 Millionen Einwohner:innen des Sudan ist auf humanitäre Hilfe angewiesen.
Vergangene Woche wurde die Hauptstadt des Bundesstaats Nord-Darfur, Al-Faschir, von der RSF-Miliz eingenommen. Denise Brown, UN-Nothilfekoordinatorin für den Sudan, schätzt noch rund 150’000 Menschen, die in Al-Faschir gefangen seien. Gegenüber der ARD sagte Brown, es gebe glaubwürdige Berichte über Hinrichtungen unbewaffneter Zivilisten durch die RSF-Miliz - etwa, wenn sie versuchten, die Stadt zu verlassen - sowie anhaltende Berichte über sexuelle Gewalt. Die Weltgesundheitsorganisation WHO habe auch glaubwürdige Berichte über Massentötungen im letzten verbliebenen Spital in Al-Faschir von Patienten und ihren Familien erhalten, so Brown. Dabei sollen mehr als 460 Menschen gestorben sein. Doch nicht nur der RSF-Miliz werden schwerste Kriegsverbrechen vorgeworfen. Auch die sudanesische Armee sei für schwere Kriegsverbrechen verantwortlich. So setze auch sie Hunger als Kriegswaffe ein und bombardiere Zivilisten in Dörfern.
Befeuert wird der Krieg im Sudan auch von Drittstaaten: So erhält die sudanesische Armee beispielsweise von Ägypten und dem Iran Unterstützung. Die Vereinigten Arabischen Emirate sollen der RSF-Miliz Waffen liefern, was der Golfstaat jedoch dementiert. Die Türkei soll die RSF wie auch die sudanesische Armee unterstützen.
Die Drittstaaten haben unterschiedliche Interessen, um sich am Krieg im Sudan zu beteiligen: Ägypten etwa ist bestrebt, den Konflikt auf der sudanesischen Seite der Grenze zu halten und hofft darauf, Millionen sudanesischer Flüchtlinge zurückführen zu können. Der Iran erhofft sich einen Marinestützpunkt am Roten Meer zu sichern, vermutlich auch, um die Huthi-Miliz im Jemen weiterhin unterstützen zu können. Der Sudan ist zu einem logistischen Drehkreuz für die Huthis geworden. Und auch die Türkei will sich wahrscheinlich mit der Unterstützung der sudanesischen Armee Zugang zum Roten Meer sichern.
Die Vereinigten Arabischen Emirate hingegen sichern sich mit der Unterstützung der RSF-Miliz den Zugang zu reichen und hauptsächlich unter RSF-Kontrolle stehenden Goldvorkommen. Die Emirate sind traditionell der grösste Importeur von sudanesischem Gold. Es ist davon auszugehen, dass mindestens Teile von diesem Gold auch in die Schweiz gelangt. Dieses Jahr ist der Import von Gold aus den Emiraten sehr stark angestiegen und hat einen Wert von 27 Milliarden Franken erreicht, wie das Schweizer Hilfswerk Swissaid meldet.
Wie geht es weiter?
Im September dieses Jahres entstand die sogenannte “Quad-Initiative”. Ihr gehören die USA als treibende Kraft, aber auch Ägypten, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate an.
Ungeachtet ihrer teilweise bestehenden Allianzen mit einer der beiden Seiten könnten diese Staaten - jedenfalls theoretisch - echten Einfluss im Sudan ausüben. Ziel der Initiative ist es, einen Fahrplan zur Beendigung des Krieges oder zumindest einer humanitären Waffenruhe zu erstellen.
Würden sich diese Länder nun ernsthaft zusammenschliessen und würden sie sogar von einigen europäischen Nationen unterstützt, könnten sie durchaus bewirken, dass der Sudan zum humanitären Völkerrecht zurückkehrt, die Menschenrechtsverletzungen enden und sich die humanitäre Lage für die Zivilbevölkerung bessert.
Vorerst bleibt dies allerdings ein frommer Wunsch: Die Quad-Gespräche in Washington, die die Kriegsparteien mit dem Ziel einer dreimonatigen Waffenruhe zusammenbringen sollten, endeten am 26. Oktober ergebnislos. Am selben Tag übernahm die RSF die Kontrolle über Al-Faschir, gefolgt von der neuen Anhäufung von Massenmorden und weiteren Gräueltaten.
Am Donnerstag hatte die RSF-Miliz einer Waffenruhe zugestimmt. Diese sei notwendig, “um die katastrophalen humanitären Folgen des Krieges zu bewältigen und den Schutz der Zivilbevölkerung zu verbessern”. Zudem solle so die dringende Lieferung humanitärer Hilfe sichergestellt werden. Die Zustimmung der sudanesischen Armee stand bis Redaktionsschluss am Sonntagnachmittag noch aus.
Abstimmungen in der Schweiz.
Wahrscheinlich hast Du diese Woche auch ein Couvert mit Abstimmungsunterlagen erhalten. Und wahrscheinlich hast du deine Häkchen oder Ja/Neins schon gesetzt und den Brief bereits wieder zur Post gebracht.
Nicht? Musst du Dich etwa noch in die Unterlagen einlesen und herausfinden, was diese zwei Initiativen genau wollen? Was für ein Zufall!
Bei rethink-blog.com ist das aktuelle Abstimmungsdossier bereits online.
Darum geht es:
Zum einen stimmen wir über die “Service-citoyen-Initiative” ab, welche die bisherige Wehrpflicht zu einem Bürgerdienst für alle Schweizerinnen und Schweizer ausbauen will. Dabei sollen Einsätze zur Sicherheit und im Umwelt- und Gesundheitsbereich geleistet werden. Bundesbern stellt sich fast geschlossen gegen die Vorlage, die Befürchtungen gehen von zu wenig Militärdienstleistenden über massive Kostenexplosionen bis zur Position, dass die Gleichstellung in der Dienstpflicht erst eingeführt werden soll, wenn die Gleichstellung in Arbeitswelt und Gesellschaft erreicht werde.
Eine Minderheit der Parteien im Bundeshaus unterstützen die Initiative und sind der Meinung, das aktuelle System sei veraltet und unfair. Ihrer Ansicht nach könnte die Reform den Personalbedarf im Militär decken, da sie den Pool der mobilisierbaren Personen vergrössere.
Hier geht’s zum Beitrag:
Als zweite Vorlage steht die “Initiative für eine Zukunft” an der Urne. Die Jungsozialist:innen fordern damit eine Erbschaftssteuer auf Bundesebene, deren Erlös in Klimaschutzprojekte fliessen soll. Die ersten 50 Millionen können dabei noch steuerfrei vererbt werden, danach müssen 50 Prozent Steuer an den Staat abgeben werden.
Auch hier stellt sich fast ganz Bundesbern gegen die Initiative. Begründet wird dies mit der Gefahr, dass superreiche Personen wegziehen könnten, eine nationale Erbschaftssteuer mit solchen der Kantone duelliert und dass trotz der 50 Millionen Freigrenze auch Schweizer Familienunternehmen davon betroffen wären.
SP und Grüne wiederum sprechen sich für ein Ja an der Urne aus. Geht es nach ihnen, sollten Superreiche deutlich mehr Steuern zahlen, da sie auch deutlich mehr Schaden am Klima anrichten würden.
Hier geht’s zum gesamten Beitrag:
Das war’s für diese Woche. Schön bist Du wieder mit dabei, es war ein innerliches Blumenpflücken!
Und übrigens: Falls Dir meine Arbeit gefällt, darfst Du sie gerne weiterempfehlen. Sei es das Weekly oder die Abstimmungstexte. Oder gleich beide :)
Redaktionsschluss: 16:00
Weekly 43/2025
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